Merengue
- die expressivste Form kreativer Eigendarstellung der Dominikaner und
Ausdruck nationalen Selbstbewußtseins!
Über den
historischen Ursprung des merengue teilt sich das Heer der
Sachverständigen in zwei Lager. Die einen vertreten die These einer
bodenständigen Entwicklung. Auch innerhalb dieser Gruppe offenbaren sich
die verschiedensten Überzeugungen. So schreiben einige Juan Babtista
Alfonseca die "Vaterschaft" des merengue zu. Andere vermuten seine
Enstehung als spontaner Ausdruck des Sieges gegen die Haitianer nach der
Schlacht von Talanquera. Dritte wiederum pochen auf eine Ableitung aus
Taino-Traditionen, die später mit kolonial-spanischen und afrikanischen
Elementen vermischt wurden. Einer volkstümlichen Erklärung zufolge
entstand der merengue während einer Fiesta, auf der ein hochrangiger Gast
mit einem Klumpfuß zu tanzen versuchte. Um den Behinderten nicht zu
brüskieren, übernahm die ganze Gesellschaft sein steifbeiniges Schlurfen -
und der merengue war geboren ! Die anderen plädieren für eine externe
Enstehung des merengue. Auch unter den Vertretern dieser "Importtheorie"
herrscht Unklarheit, ob der Tanz direkt aus Afrika oder über den Umweg
Kuba kam. Einige spekulieren sogar über eine Verbindung zu den
berüchtigten Piraten von "La Tortuga", denn - Seeräuber tragen oft
Holzbeine !!!
Auch der
Name "Merengue" bleibt geheimnisvoll. Leitet er sich von der bekannten
Süßspeise aus Eierschnee und Zucker ab oder stammt er aus einer
afrikanischen Sprache ? Gewiß allerdings ist, daß der merengue um 1850 in
der Gegend von Cibao bereits präsent war und unter der Landbevölkerung
rasch Anhänger gewann. Dagegen rümpften die Mitglieder der "feinen
Gesellschaft" in den Salons der Städte die Nase über den Bauertanz. Erst
während der Trujillo-Ära geläng dem bislang geächteten Tanzvergnügen auch
der Einbruch in breitere gesellschaftliche Schichten. Trujillo hatte die
Bedeutung des merengue als Propagandamittel erkannt und nutzte ihn als
ideologisches "Frachtschiff" zu den entlegendsten Winkeln seines kleinen
Reiches. Es heißt, daß der Tyrann selbst zum besessenen Tänzer wurde, der
für sich das Privileg in Anspruch nahm, anläßlich seiner kostspieligen
Bälle als erster das Tanz bein zu schwingen.
Auf
"Wunsch" des Diktators nahmen Radiosender den Merengue in ihr Programm
auf. Die Plattenindustrie zog nach und zu guter Letzt wurden die Merengue-
Festivals zum "Bestandteil des nationalen Kulturerbes" aufgewertet. Das
Trujillo-Regime endete 1961 unrühmlich, der merengue jedoch, befreit von
seinen politischen Fesseln, fand zu seinen Wurzeln zurück und wurde wieder
Stimme des Volkes. Mehr noch, er integrierte neue Musikformen, erweiterte
die Instrumentierung und gelangte schließlich auch auf andere
Karibikinseln und in die USA. Dort haben moderne Interpreten wie z.B. Juan
Luis Guerra und Wilfrido Vargas weltweite Erfolge erzeilt. Letzterer wurde
1990 sogar für einen "Grammy-Award" (dem "Musik-Oscar") nominiert.
Heutzutage begleiten die
Klänge des Merengue den Dominikaner auf Schritt und Tritt. Radiosender
spielen rund um die Uhr. Die Menschen auf der Straße bewegen sich im Takt
der Musik, die ihnen aus tragbaren Kasettenrecordern und den
Deckenlautsprechern der colmados oder Restaurants entsgegenschallt.
Musikkenner unterscheiden
mehrere Stilrichtungen wie z.B. den bolemerengue, jalemerengue, juangomero
und pambeche. Der Einfachheit halber reduziert der dominikanische
Wissenschaftler den merengue auf zwei Grundtypen, den "traditionellen" und
den "städtischen" merengue. Ersterer ankert im bäuerlichen Milieu und wird
von Combos aus drei bis vier Feierabendmusikern (perico ripiao)
vorgetragen. Die Texte, die man gewöhnlich in Mundart singt, werden
traditionell von einer tambora, einer güirra und einem accordeon
begleitet. Die tambora ist eine kleine Trommel afrikanischen Ursprungs mit
Ziegenfellbespannung, die eingeklemmt zwischen den Knien linkshändig
geschlagen und rechtshändig mit einem kleinen Schlegel (bollilo) gespielt
wird. Als güirra, eigentlich eine der Taino-Folklore entlehnte
Kürbis-Kalebasse mit Kerbschnitt, über die man ein Hölzchen schrappt, wird
heute ein konischer Zinnzylinder verwendet. Das accordeon wurde im 19.
Jahrhundert aus Deutschland importiert und gegenwärtig lokal auch durch
ein Saxophon ersetzt. Pericoripiao-Combos spielen sehr zur Freude der
Urlauber oft am Strand oder musizieren, angeworben von den Hotels, zur
Abendunterhaltung.
Der
"städtische" Merengue, der auf dem Medienmarkt und den Nachtclubs
dominiert, ist umfangreicher instrumentiert. Zu den bereits genannten
Instrumenten gesellen sich Trompete, Posaune, E-Bass und Synthesizer. Bei
den Interpreten handelt es sich meist um ausgebildete Musiker. Seine
aktuellsten Auswüchse sind in Mischformen wie Tecno-, Rap- oder
HipHop-Merengue auch in den internationalen Charts und Diskotheken
vertreten, wie z.B. von Proyecto Uno, Sandy & Papo u.v.a.
Traditionell setzt sich ein
Merengue-Stück aus drei Suiten zusammen: dem paseo oder Entree, das der
Tanzvorbereitung dient, dem merengue, der das Thema des Werkes entwickelt
und dem jaleo, einer Art Crescendo, das als Höhepunkt meist mehrstimmig
vorgetragen wird. Die Merengue-Texte erinnern an die afro-amerikanische
Bluestradition. Obwohl natürlich der Themenauswahl keine Grenzen gesetzt
sind, besingen die Lieder überwiegend Frauen, enttäuschte Liebe,
Trinkgelage, prominente Zeitgenossen und historische Helden. Auch
kommentieren sie die Alltagswelt, insbesondere die Armut und die
politische Mißstände. Typisch für den Merengue ist der zündende Refrain,
den die Sänger meist mehrstimmig ständig wiederholen. Liebeslieder
erschrecken prüde Gemüter mit frivolem Hintersinn, sozialer Protest mischt
sich mit frechem Humor.
Ein
Höhepunkt für jeden Merenguero ist das Festival del Merengue, das in der
Dominikanischen Republik jedes Jahr in der dritten Juliwoche stattfindet.
Tausende Dominikaner und Urlauber drängeln sich auf der Av. George
Washington entlang dem Malecón, der Strandpromenade Sto. Domingos, und
tanzen ausgelassen zu den Rhythmen der Combos, die auf provisorischen
Plattformen das Publikum anheizen.