Seit wann tanzt man Salsa in Deutschland?
J.C. Caballero:
Zur Salsabewegung in Deutschland wie auch in ganz Europa haben
ganz entscheidend die Puertoricaner beigetragen, die hier nach
dem Zweiten Weltkrieg stationiert waren. Sie haben ihre
musikalische Tradition mitgebracht und weitergegeben– so wird
auf privaten Partys schon seit Anfang der Siebziger Salsa
getanzt, Mitte der Achtziger kamen dann die ersten Salsatecas
auf… und mittlerweile ist Salsa zum Massenphänomen geworden.
Du leitest seit vielen Jahren internationale Salsa-Kurse. Wie
sind deine Erfahrungen mit Deutschen, die in deinen Workshops
Salsa tanzen lernen?
J.C. Caballero:
Über die Latinos wird ja gesagt, sie hätten den Rhythmus im Blut
–tatsächlich kann ich immer wieder feststellen, dass die
Deutschen die gezeigten Übungen weitaus schneller und präziser
umsetzen können. Überhaupt ist Rhythmusgefühl weniger angeboren
als vielmehr Trainingssache, weshalb der Einführung der
elementaren Rhythmen in meinen Kursen eine große Bedeutung
zukommt.
Was eher ungewöhnlich ist. In den meisten Tanzschulen wird die
graue Theorie ja zugunsten der Praxis zurückgestellt…
J.C. Caballero:
Das stimmt. Es mag überraschen, aber meine Schüler reagieren auf
Übungen zur Rhythmustheorie sehr positiv, gerade weil ihnen dies
aus der Tanzschule meist völlig unbekannt ist. Dabei stelle ich
immer wieder fest, dass man die Salsa ohne Kenntnis der
elementaren Rhythmen nie wirklich beherrschen kann – es gilt
also, diese Rhythmen zu erlernen! Und das ist weniger
kompliziert, als es am Anfang scheinen mag.
Du meinst also, ohne Kenntnis der verschiedenen Rhythmen könne
man gar nicht richtig salsatanzen?
J.C. Caballero:
Nein, man kann technisch sauber tanzen, ohne auch nur einen
einzigen elementaren Rhythmus zu beherrschen. Und doch fehlt
dann etwas – das, was wir Latinos, «sabor» nennen.
Sabor?
J.C. Caballero:
Dieses Gefühl, im Rhythmus der Musik zu vibrieren. Und die Basis
jedes Tanzes ist schließlich die rhythmische Bewegung. Viele
Salsatänzer, die rein intuitiv vorgehen und sich nur an der
Melodie der Musik orientieren, mögen zwar die Tanzschritte
beherrschen, ihnen fehlt aber die Geschmeidigkeit der
Bewegungen, der swing. Und der ist nur durch Training und durch
die Beherrschung mindestens eines elementaren Rhythmus
erlernbar. Salsatanzen ist weit mehr als die Aneinanderreihung
von Tanzschritten, Salsa ist ein Lebensgefühl, das sich in
Verbindung mit dem Rhythmus der Musik einstellt und ausdrückt.
Nur wer diese Idee verinnerlicht, kann all seine Empfindungen in
die Bewegung legen und die Zuschauer in seinen Bann ziehen.
Gibt es bereits Literatur, die Tänzern dabei hilft, die
elementaren Rhythmen der Salsamusik zu erkennen und zu
beherrschen?
J.C. Caballero:
Nicht dass ich wüsste. Es gibt zwar Bücher und Videos zu den
elementaren Rhythmen der Salsamusik, aber nirgends wird die
Brücke zwischen Musik und Tanz geschlagen. Mit meinem Buch, das
aus sechs Jahren der Forschung zum Thema Salsamusik und deren
Tanzbetonung entstanden ist, versuche ich, diese Lücke zu
schließen. Neben einer allgemeinen Rhythmustheorie der
Salsamusik stelle ich darin die verschiedenen Betonungsarten
(Tanzen auf 1, 2 und Clave) vor.
Richtet sich dein Buch ausschießlich an TänzerInnen mit guten
musikalischen Vorkenntnissen?
J.C. Caballero:
Nein. Ich gehe so kleinschrittig vor, dass auch Leser mit sehr
geringen Vorkenntnissen keine Schwierigkeiten haben dürften.
Übrigens ist es nicht nötig, Noten lesen zu können, um die
elementaren Rhythmen zu verstehen – ich habe mich für eine
Darstellung in Tabellenform entschieden, die mir übersichtlicher
und eingängiger scheint.
Salsa ist ein Lebensgefühl, sagst
du. Ist das der Grund, warum die karibischen Tänze so viel
Erfolg auf der ganzen Welt haben?
J.C.
Caballero: Ich denke, verantwortlich für diesen Erfolg ist vor
allem die Kultur, die Lebensfreude der Latinos und Latinas, die
Leidenschaft, die Sinnlichkeit und Erotik, die untrennbar zu den
karibischen Paartänzen gehören. Für viele Latinos und Latinas
sind Musik und Tanz nichts anderes als eine Möglichkeit, die
ganze Bandbreite unserer Emotionen auszudrücken, unsere Art zu
lieben, zu hassen, zu verzeihen.
Also ist Salsatanzen in Deutschland deshalb so beliebt, weil es
erlaubt, Gefühle zu zeigen und zuzulassen?
J.C.
Caballero: Genau. Außerdem kann man beim Tanzen wie in einem
Kurzurlaub die Probleme des Alltags hinter sich lassen und ein
neues, besseres Lebensgefühl entwickeln. Manche sehen den Tanz
primär als sportliche Herausforderung, andere wiederum als
Chance, Gleichgesinnte, Freunde, vielleicht sogar die große
Liebe zu finden. All dies sind Facetten, die dazu beitragen,
dass sich immer mehr Menschen für die karibischen Paartänze
begeistern.
Interview:
Alma Dreyer
Schmetterling
Verlag 2004
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